10 Tage lang stand in Österreich "Integration" im Fokus der Öffentlichkeit.
Hintergrund ist eine
Studie des Innenministeriums, die vor allem zeigt, dass ZuwandererInnen ein heterogenes Völkchen sind (welch Wunder) und unterschiedlich starke Probleme (Sprache, Alltagsdiskriminierungen) mit der Aufnahmegesellschaft hätten, mithin also die Integration noch nicht abgeschlossen sei. Während Barbara Herzog-Punzenberger dies für
eine "nette Seminararbeit" hält, sieht die österreichische Gesellschaft für Soziologie
gröbste methodische Mängel (zur
Forderung nach Offenlegung der Studie siehe hier).
Grundsätzlich scheinen die Schlüsse des Innenministeriums teilweise tatsächlich seltsam - zwar wäre es gerechtfertigt zu sagen, dass religiös-konservative Vorstellungen wie "kein Sex vor der Ehe" in Österreich mittlerweile Distanz zur Mehrheitsgesellschaft offenbaren, die entsprechenden KatholikInnen, Muslime usw. allerdings als "integrationsunwillig" zu sehen - naja... Einmal abgesehen davon, dass der Begriff "integrationsunwillig" in der Studie gar nicht vorkommt. Auch in anderen Studien schaut es etwas anders aus: die
Uni Wien etwa kommt auf 7% ZuwandererInnen, die aus religiösen Gründen Probleme mit der Integration hätten, eine EU-Vergleichs-Studie des ZSI
sieht Probleme vor allem in der Dequalifizierung von ZuwandererInnen in Österreich (die relativ unabhängig von den Deutschkenntnissen stattfinde).
Entsprechend wechselte Prokop auch die Terminologie (
z. B. in einer ORF-Diskussion) und Studienautor Rohe sprach von
Distanz auf beiden Seiten (wie immer sind die LeserInnenkommentare das eigentlich bemerkenswerte, und bei letztverlinktem Artikel sind das immerhin 1319) - diese ehemalige "Integrationsunwilligkeit" betrifft etwa
40% der Eingeborenen-, verteidigte aber die Typologisierung (Al-Rawi dazu:
"Keil in die muslimische Gemeinde"). Der deutsche Jurist und Richter Rohe selbst ist
im Standard-Interview vor allem enttäuscht über die österreichische Kritik.
Die großen muslimischen Vereine
zeigten sich besorgt über die aktuelle Integrationsdebatte im Wahlkampf (
hier in der oberösterreichischen Variante), eine (etwas obskure) Islamische Jugend Österreichs forderte Prokops Rücktritt (für eine katholische Reaktion
siehe hier). Caritas und Diakonie sahen die Studie vor allem vor dem Wahlkampf und
erhoben ihre warnende Stimme.
Tatsächlich sehen einige KommentatorInnen die Integrationsdebatte vor dem Wahlkampfhintergrund.
Sonja Fercher im Standard etwa, die von den Hürden der "Integrationswilligen" in Österreich erzählt, Markus Rohrhofer, der die Regierung nur an einer
"Hosentaschen-Integration" interessiert sieht (oder vgl.
z.B. hier über die neue ÖVP-FPÖ-Konkurrenz).
Dem Vorwahlkampf ordnet auch der Sprachwissenschaftler De Cillia
im Standard-Interview die Studienpräsentation zu.
"Wahltaktisches Getöse" sieht auch FPÖ-Strache, während
das BZÖ den Zeitpunkt von Prokops "going public" kritisierte.
Wie könnte also "Integration" vorangetrieben werden? (Zum Begriff Integration und seinen Voraussetzungen
siehe dieses Interview mit Integrationsforscher Bauböck)
Hans Magenschab im Standard sah die ganze Diskussion um Integration schon vor hundert Jahren, nur damals mit den "integrationsunwilligen" TschechInnen in Wien. Die aktuelle Emotionalisierung
jedenfalls führe eher zu mehr Gewalt, so die verschiedensten AkteurInnen, aber für
ausländische Frauen in Österreich könne mensch schon mehr tun (Sprachkurse, Arbeitsmarktintegration, ...) - unklar bleibt aber bei dem Artikel, warum "die Bereitschaft, die Staatsbürgerschaft anzunehmen, ein Parameter, an dem die Integrationsbereitschaft gemessen werden kann" sei: warum sollte ein Wiener, der im ostdeutschen Magdeburg die Musikschule führt, unbedingt die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen?
Viel diskutiert wird um Integration in der Schule (vor dem
Hintergrund steigender Zahlen moslemischer SchülerInnen und der schlechten
Förderung von MigrantInnenkindern)- etwa durch
Umverteilung der SchülerInnen (
Standard hier und hier),
mehr statt weniger LehrerInnen, eine
längere Schulpflicht oder -wie von der islamischen Glaubensgemeinschaft gefordert -
eine 50%-Grenze in der Klasse für Kinder nichtdeutscher Muttersprache verbunden mit einem offeneren (durchmischteren) Wohnungsmarkt (vgl. zu den schon
durchmischten Gemeindewohnungen hier). Ach ja, und die FPÖ fordert
eine Schweinefleischgarantie... (zum
Kommentar hier)
Noch ganz allgemeiner
postuliert Michael Landau in der Presse: "Die Kulturdebatte ist zu führen!" Der Gastkommentator der Presse fordert hingegen, Österreich solle
egoistisches Einwanderungsland werden, denn am "Integrationsfiasko" sei Österreich nicht schuldig, sondern die ZuwandererInnen.
Im Standard jedenfalls müssen sich (auch?) die ZuwandererInnen zumindest integrieren, wenn nicht assimilieren. In jedem Fall sollen sie
so überzeugte DemokratInnen und FrauenrechtlerInnen sein wie die ÖsterreicherInnen selbst...
Derweil wird unter österreichischer Präsidentschaft (mit einem übrigens im
EU-Vergleich geringem AusländerInnen-Anteil, vgl.
für die Herkunftsländer hier) auch auf EU-Ebene diskutiert -
über mehr oder
weniger sicherere Herkunftsländer etwa.
Strittig ist unter anderem, ob Frauen in die Genitalverstümmelung zurückgeschoben werden sollen (
vgl. auch hier). Wie fassen die
Salzburger Nachrichten zusammen: "Die EU tut sich mit Fortschritten in Richtung einer harmonisierten Asyl- und Einwanderungspolitik schwer." Auch ein paar Etagen niedriger wird getagt,
über Rassismus zum Beispiel und über
Meinungsfreiheit und "Verantwortungsbewusstsein". Über das Versagen der EU bei den Menschenrechten diskutiert
hingegen Amnesty (vgl.
auch hier, hier
Standard-Kommentar), eine Kritik, die auch
Österreich trifft: "Vom Rechts- zum Machtstaat". Auch
in Oberösterreich ist
eine heftige Asyl-Debatte entbrannt.
Währenddessen berichtet die Presse
vom Flüchtlings-"Kollaps auf den Kanaren" und
dem Vormarsch der Neonazis in Deutschland,wo es zur Zeit eine
Serie ausländerfeindlicher Gewalt gibt, die
Befürchtungen um das Image während der Weltmeisterschaft weckt (
z. B. bezügl. No-Go-Areas).
Das Abschlusswort habe Papa Schüssel,
der zusammenfasst: Die meisten Zuwanderer seien großartige Menschen.
fluequal - 29. Mai, 00:22