Samstag, 30. September 2006

Der Standard-Idomeneo

Nicht nur die Presse verarbeitet ausführlich die Absetzung von Neuenfels' (Max-Reinhard-Seminar-Absolvent) Idomeneo-Aufführung in Berlin aus Angst vor islamistischer Gewalt. Die Intendantin der Oper Harms hatte Idomeneo mit den geköpften Häuptern Poseidons, Jesus, Mohammeds und Buddhas abgesetzt, nach dem ihr Berlins Innensenator drastisch die Folgen für die Sicherheit der ganzen Bundesrepublik schilderte. Dieser gibt sich selbstkritisch.

Die Absetzung wird von anderen IntendantInnen (und auch vom Verantwortlichen für die dänischen Mohammed-Karrikaturen) ebenso kritisiert wie von der Politik, von der internationalen Presse oder der katholischen Kirche. Und natürlich hat auch der Standard seinen kritischen Kommentar, der auch auf die bisherige Selbstzensur hinweist (siehe Vox, dass "Nicht ohne meine Tochter" aus dem Programm nahm und viele andere Fälle - Ausnahme: die Heilbronner Aufführung von Corpus Christi - schwuler Jesus -, Zitat Intendant: "Ich lasse mir von Faschisten, ob sie sich christlich nennen oder anders, nicht den Spielplan vorschreiben").

In Bayern fällt die Kritik dagegen etwas verhaltener aus, während Stoiber daran vor allem seine Forderung nach Deutschsprachigkeit in Moschee (und Kirche? endlich mal eine eindeutige Absage an den tridentischen Ritus ;-) aufhängt, wollte der CSU-Fraktionschef die Oper schon längst hinterfragt haben, da sie "psychische Gewalt gegenüber vielen Gläubigen" ausübe (trockener LeserInnen-Kommentar an gleicher Stelle: "ein geköpfter Jesus ist psychische Gewalt gegen Gläubige die zu Hause Jesus an ein Kreuz genagelt an der Wand hängen haben"). Eine ähnliche Meinung vertritt der US-Botschafter in Deutschland.

Und die Muslime in Deutschland? Sind nicht alle gleich, sondern ein vielstimmiges Völkchen mit vielen sehr verschiedenen Vertretungsorganisationen (einer der Gründe, warum es bis heute anders als in Österreich ja schon seit Ewigkeiten keinen Religionsunterricht für Muslime gibt). Die gemeinsame Islam-Konferenz mit der Bundesregierung in Deutschland wolle zusammen die erste Berliner Idomeneo-Aufführung besuchen ("wenn wir Karten kriegen"), so Innenminister Schäuble. Auch der Generalsekretär der als islamistisch geltenden Milli Görüs, Oguz Ücüncü, sagte, "Religionskritik auf Opernbühnen müsse jede Religion aushalten. Er halte zwar persönlich von der Inszenierung nicht viel, weil die Originalfassung keinen Bezug zu Buddha, Jesus und Mohammed erkennbar mache. 'Aber in die künstlerische Freiheit ist nicht hineinzureden', wurde Ücüncü zitiert." (zitiert wiederum der Standard). Das Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt der Universität Mainz dagegen begrüßte die Absetzung ausdrücklich, da nach Karikaturenstreit und Papst-Diktum Boykotte und Proteste die Folge gewesen wären. Jedenfalls wird sich der Vorsitzende des Islamrats Ali Kizilkaya anders als der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde etwa das Stück nicht ansehen, dass müsse er sich nicht antun. Andererseits - ob Schäuble auch die ganze deutsche Bischofskonferenz in eine Aufführung mit einem enthaupteten Jesus bekäme, wird leider nicht geprüft.

Und Österreich? Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny will die Oper in Wien aufführen lassen, die Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich, Carla Amina Baghajati, fragt: "Stehen wir - Muslime wie Andersgläubige - wirklich dermaßen in Geiselhaft einiger fanatischer und engstirniger Aufwiegler?" und fühlt sich zu Unrecht beschuldigt.

Kritik an der deutschen Politik formuliert derweil der bekannte deutsch-syrische Islam-Experte und Göttinger Professor Bassam Tibi: während die PolitikerInnen nur an Sicherheit, nicht an Integration interessiert seien, würden die Funktionäre der Islamgemeinde in Deutschland eine "Integration im Sinne von Wertorientierung" ablehnen und stattdessen in Deutschland missionieren wollen. Tibi selbst möchte in die USA und dort dann seine Biographie "A Life of Suffering as an Alien in Germany" schreiben. Der deutsche Innenminister Schäuble dagegen erklärt nüchtern: "Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas. Der Islam ist Teil unserer Gegenwart und unserer Zukunft."

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